10 Jahre Finanzkrise in der Europäischen Union

17.06.2017

Frau Julia von Borstel war Ende Mai unser Gast im Wirtschaftsgymnasium. Frau von Borstel ist Mitarbeiterin der Deutschen Bundesbank, arbeitet im Stab des Präsidenten und ist eine Top-Referentin zu Themen der aktuellen Wirtschafts-, Geld-, Konjunktur-, Finanz- und Außenwirtschaftspolitik. Julia von Borstel, Deutschen Bundesbank

Frau von Borstel referierte über das Thema Fiskalpolitik in Europa, genauer über das Thema „10 Jahre Finanzkrise in der Europäischen Union“ und brachte der interessierten Schüler- und Lehrerschaft folgende Inhalte näher:

Sie erläuterte, dass genau vor 10 Jahren, im Jahr 2007, begann, was im Jahr 2008 zur Pleite der Investmentbank Lehman Brothers und 2009 zu einer Weltrezession ohnegleichen führte. In Deutschland wurde man im Juli 2007 auf die Situation aufmerksam. Im Juli 2007 machte die IKB-Bank durch massive Verluste von sich reden. Nur durch massive milliardenschwere Rettungspakete seitens des deutschen Staates konnte das Institut gerettet werden. Trotz dieses Ereignisses glaubte die deutsche Bevölkerung und Politik noch lange Zeit, dass das Geschehnisse im fernen Amerika seien. Eine eklatante Fehleinschätzung!

Heute, zehn Jahre später, drängt sich die Frage auf, wie es überhaupt dazu gekommen ist und wie man damals so naiv gewesen sein konnte.

Frau von Borstel erklärte den Zusammenhang der Krise in sehr anschaulicher und engagierter Weise. Sie beschrieb den Schülerinnen und Schülern in der Manier des bekannten Finanzkrisenspielfilms „The Big Shot“ die damalige Situation mit Hilfe eines scheinbar stabilen Holzturms, den ein Banker in diesem Film baut. Zieht man aber erst einen und später mehrere Holzklötzchen aus diesem Konstrukt heraus, dann schwankt das Gebilde erst langsam, später kollabiert es.

„Subprime“ bedeutet freiübersetzt: nicht erstklassig, suboptimal, steht also für ein Synonym von Krediten bonitätsschwacher Kreditnehmer. Banker sprachen damals auch von „Ninja-Krediten“: „No income, no jobs, no assets“.

Die Referentin nannte im Wesentlichen drei Ursachen für die Krise: einen felsenfesten Glauben der internationalen Investmentbanker an neue Finanzierungsinstrumente, der weitverbreitete Irrglaube, dass die Preise für die kreditfinanzierten Häuser weiter steigen und der starke politische Druck aus Washington.

Letzteres ist für die anwesende Schüler- und Lehrerschaft von großem Interesse, da dieser Aspekt in der öffentlichen Berichterstattung die letzten Jahre sehr kurz kam. Um die Jahrtausendwende sah sich die Regierung von Bill Clinton starkem Druck ausgesetzt, sie bekämpfe nicht konsequent genug die Vermögensungleichheit in den Vereinigten Staaten. Insbesondere dürfe man keinem Amerikaner das Recht auf ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung verwehren. Clintons Wohnungsbauminister wurde angewiesen und die beiden staatlichen Wohnungsbaufinanzierer, die Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac, wurden durch die Regierung aufgefordert, ihre Kreditvergabe zu lockern. Fortan war es sehr leicht, einen Hauskredit ohne aufwendige und seriöse Bonitätsprüfung zu erhalten. Das Ende ist bekannt, viele Amerikaner verloren ihre Jobs und konnten ihren Schuldendienst nicht mehr zurückzahlen.

Die Kredite waren inzwischen verbrieft worden, ein neues – für die Europäer unbekanntes – Finanzierungsinstrument. Sie wurden an Banken in Europa abgetreten und verkauft. Solche Verbriefungen hatte es zwar schon seit den 1980er Jahren gegeben, doch ihre stärkste Wirkung konnten sie erst unter den liberalisierten Märkten Anfang des neuen Jahrtausends entwickeln. Die Risiken wurden von der Welt offener Finanzmärkte ausgeblendet. Die alles entscheidende Frage, was passiert, wenn nicht nur einige wenige Amerikaner, sondern viele auf einmal, ihre Schulden nicht mehr bezahlen können, wurde von der Finanzwelt ignoriert.

Diese Situation trat aber ein: Banken, später Staaten, mussten weltweit gerettet werden; die Welt befand sich in der größten Rezession nach dem zweiten Weltkrieg. Milliardenschwere Konjunkturprogramme wurden aufgelegt.

Die Finanzpolitik und die Geldpolitik mussten helfen. Zehn Jahre nach dem großen Schock kann sich die Welt längst nicht in Sicherheit wiegen. Vor allem die Zentralbank unterstützt die Nationalstaaten durch ihre ultralockere Geldpolitik, da es an politischem Willen vieler Länder in Europa fehlt, ihre Haushalte zu konsolidieren und Strukturreformen zu machen. Das wiederum verhindert zwar ein weiteres Abgleiten in die Rezession, belastet aber Bürger, die sparen und Vorsorge für ihr Alter treffen wollen und müssen. Eine aktuell leicht eintretende Inflation führt darüber hinaus zu einer negativen Realverzinsung.

Die Interessen innerhalb des einheitlichen Währungsraums divergieren erheblich und die Erkenntnis wächst, dass eine Einheitswährung wie der Euro nicht nur zu mehr Wohlstand und Wachstum geführt hat, sondern auch mit vielen systemischen Risiken verbunden ist.

Frau von Borstel danken wir an dieser Stelle noch einmal ganz herzlichst und freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen zu Anfang des neuen Schuljahrs, wenn wir gemeinsam mit ihr einen ganztägigen Workshop zum Thema „Geldpolitik im Eurosystem“ gestalten.